Trennung als Neuanfang
Im Weinbuch der Pottendorfer Herrschaft ist zu lesen, dass im Jahre 1644 an das “allhiesige Wirtshaus” 295 Eimer Wein verkauft wurden. 1 Eimer waren damals 40 Mass = 160 Seidel = 56,589 Liter. Also gingen sage und schreibe 4598,75 Liter über den Ladentisch der Hoftavern, die sich deshalb so nennen durfte, weil sie im Besitz der Herrschaft war. Allerdings führte die Herrschaft die Hoftavern nicht selbst, sondern gab sie in “Bestand” - also in Pacht. Der erste bekannte Pächter, Thomas Pergauer, hat gemeinsam mit seinem Schwiegervater Ulrich Paumgartner (Richter von Pottendorf) bis heute einen bleibenden Eindruck hinterlassen: Die Grabsteine der beiden Herrn sind die ältesten erhaltenen auf unserem Friedhof.
Aber nun wieder zu etwas Lebendigerem: 1750 entschloss sich die Herrschaft, die Wirtschaft in Pottendorf zu beleben und ließ im Rothen Hof den „Schwarzen Adler" - ein Gasthaus -einrichten dass ab nun in unmittelbarer Konkurrenz zur Hoftavern stand. Mit dem Bau der Spinnerei (1801) entstanden noch mehr neue Gasthäuser in Pottendorf. Die alte Hoftavern konnte mit den Mitbewerbern nicht mehr mithalten und schloss in den Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts für immer die Wirtshaustüren. Sie diente ab da als herrschaftliches Wohnhaus.
Ab 1819 wohnte Georg Adam Liszt - der Großvater des Komponisten Franz Liszt - die letzten 25 Jahre seines Lebens am heutigen Kirchenplatz 4. Vermutlich kam List auf Vermittlung von Fürst Nikolaus Esterhazy nach Pottendorf. Jedenfalls erhielt er gleich eine Anstellung als Schlossorganist. Zusätzlich war er in der Spinnerei als Wollwäger angestellt. Als Opa Liszt am 8. August 1844 völlig verarmt starb, feierte sein Enkel Franz in ganz Europa triumphale Erfolge. Im Schaukasten des heutigen Pfarrhofs ist eine rote Marmor-Gedenktafel angebracht, die an Georg Adam Liszt erinnert.
In den Jahren 1961/62 wurden - zu Gunsten eines Neubaus des Pfarrhofes - die Hoftavern und das Wildprethaus abgerissen.
Es ist ihm bestimmt nicht leicht gefallen, seine Unterschrift am Valentinstag des Jahres 1961 unter den Vertrag mit der Pfarre Pottendorf zu kritzeln. Aber was blieb ihm schon anderes über, dem Laszlo Prinz von Esterhazy-Galantha, als die Ablöse des Patronats über die Pfarrkirche zum Hl. Jakobus zu unterschreiben? Sein einziger Sohn Nikolaus - der sollte nicht nur die Herrschaft erben, sondern wurde auch als nächster Fürst gehandelt - starb am 26. Mai 1958 bei einem Autounfall. Laszlo Esterhazy sah sich ausser Stande die Besitze zukünftig selbst zu verwalten und daraus Geld zu lukrieren. Pfarrer Josef Nittmann drängte zudem, dass das Patronat zurückgelegt wird.
Und so kam es, dass der Patronatsherr im Jahre 1960 einmalig öS 100.000,- für die Kirchenrenovierung locker machte, und das Grundstück Kirchenplatz 4 - du weisst schon, die fürstliche Hoftaverne, die sich in früheren Zeiten verpflichtet hat exklusiv Pottendorfer Bier auszuschenken - welches aus 426 m² Bauparzelle und 2.880 m² Waldparzelle bestand, in den Besitz der Pottendorfer Pfarre überging. Im Gegenzug war Esterhazy ab dem Tag nicht mehr für die Erhaltung der kirchlichen Gebäude verantwortlich. Der Prinz verlor auch das Recht der Präsentation bei der Neubesetzung der Pfarre. Alle Rechte und Pflichten gingen somit auf die Erzdiözese Wien und ihren Oberhirten über. Pfarrer Nittmann vermerkte in der Pfarrchronik: Eine jahrhundertealte Einrichtung ging damit zu Ende, die Liquidierung des Feudalwesens lässt sich nicht mehr aufhalten. Künftige Pfarrer werden es leichter haben bei ihrer Sorge um Kirche und Pfarrhof.” Nachdem das Patronat übergeben war, soll Laszlo Prinz Esterhazy nicht mehr in Pottendorf in die Kirche gegangen sein.
Zu jener Zeit war der Pfarrhof noch in der Hauptstraße 13. Das sollte sich jetzt rasch ändern. Als am 16. Oktober 1961 die Gemeinde Pottendorf die Baubewilligung für den Neubau desselben auf den Parzellen 108 und 109 erteilte, stand dem nichts - also zumindest fast nichts - mehr im Wege.
Auch damals war man schon schnell mit dem Abriss. Der Abbruch der beiden alten Häuser soll so spontan und rasant erfolgt sein, dass eine noch anwesende Bewohnerin im kleinsten Raum des Hauses plötzlich nur mehr zwei Wände und eine Tür um sich hatte. Im Oktober sind die letzten beiden Parteien aus dem zweiten alten Gebäude ausgezogen. Damit konnte auch dieses demoliert werden. Die Pläne für den Neubau des Pfarrhofs fertigte Dipl. Ing. Josef Patzelt - Architekt in Wr. Neustadt - an. Mag sein, dass der sich das Ganze etwas einfacher vorgestellt hat, schließlich war es bestimmt nicht sein erster Plan, den er zeichnete. Aber um den Hochwürdigen Herrn Erzbischof Dr. Franz Jachym und den Referenten Monsignore Robert Lux zufrieden zu stellen, bedurfte es noch eine Weile und so manche Stunde am Zeichenbrett. Der achte Planentwurf fand dann doch die Zustimmung der beiden geistlichen Herren und so konnte am 5. März 1962 mit dem Ausheben der Baugrube begonnen werden.
Bei einer Tiefe von 1,60 Meter forderte die Natur - in Form des Grundwassers - ihre Daseinsberechtigung ein. Als in der Baugrube das kühle Nass bereits 40 cm hoch stand, beförderte eine Pumpe das Wasser aus der Grube und mit Feuerwehrschläuchen wurde selbiges zunächst in den Garten, später dann in die Fischa im angrenzenden Schlosspark transportiert.
In der Pfarrchronik wird der Baufortschritt so beschrieben: “In den Monaten April, Mai und 1. Hälfte Juni 1962 wurde der Rohbau des neuen Pfarrhofes aufgeführt. Das Wohngebäude, 2 Stockwerke hoch (d. h. Erdgeschoß und 1. Stock), der Zwischentrakt nur ebenerdig und der Saaltrakt an der Badenerstraße vorne mit ausgebautem 1. Stock und rückwärts unterkellert durch 2 Garagen und Kohlenablagen.
Am 16. Juni 1962 wurde die „Gleiche“ gefeiert, die Erzdiözese zahlte an jeden Arbeiter 1 Tagelohn zusätzlich als Abgeltung der „Feier“. Somit war der Rohbau in genau 3 Monaten fertiggestellt. Die Mauern wurden fast nur 38 cm stark an den Außenwänden hergestellt, gemauert wurde mit Lochsteinen, die die Größe von 2 Normalziegel haben. Die Zwischendecke (Erdgeschoß – 1 . Stock) und die Decke unter dem Dachboden wurde mit „Katzenberger“ Trägern und Hohlblocksteinen hergestellt. Die „Roste“ sind mit Betoneisen stark armiert, sodass das Gebäude sehr solide dasteht. Nun machen die Maurer 14 Tage Urlaub, in dieser Zeit soll der Zimmermann den Dachstuhl aufstellen.”
Während die Maurer ihren wohlverdienten Urlaub genossen, machten sich die Zimmerer ans Werk und errichteten den Dachstuhl über den Pfarrer Nittmann - scheinbar um sich selbst zu beruhigen - schreibt: “Die Dachkonstruktionen sind genau berechnet und erscheinen für das Auge schwach dimensioniert”. Heute, 60 Jahre später, wissen wir, dass alles richtig berechnet wurde, die Sorge unseres damaligen Pfarrers unbegründet war und der Dachstuhl immer noch hält. Die Dachdeckerarbeiten erledigte die Pottendorfer Firma Franz Weningers Witwe. Am 13. November 1962 war der grünlichgelbe Terranova-Außenputz aufgebracht und die Innenarbeiten begannen.
Pfarrer Nittmann legte Wert darauf, dass - sofern dies möglich war - Pottendorfer Betriebe die anfallenden Arbeiten durchführen. So kam es, dass Josef Fassel - damals noch Tischlerei - die Fenster und Türen erzeugte und die Firma Ing. Prewein Wasser und Heizung installierte, Ing. Alfred Denk versorgte den neuen Pfarrhof mit Strom. die Schlosserarbeiten oblagen der Firma Alois Weiss, die Spenglerarbeiten erledigte die Fa. Lehner, die Decken und Wände wurden von Malermeister Franz Hitzenhammer gestrichen und Glasermeister Karl Gold kittete - Silikon war damals noch nicht in Mode - Glas in die von Tischlerhand gefertigten Fenster und Türen ein.
In der Pfarrchronik schreibt Pfarrer Nittmann: “Um die Jahreswende war tiefer Winter. Es gibt genügend Schnee, leider oft auch Glatteis. Die tiefsten Temperaturen waren im Jänner und Februar 1963 bei -20° C. Man spricht vom „strengsten Winter seit Menschengedenken“, weil durch 3 Monate hindurch der starke Frost keine Milderung erfuhr. In N.Ö. (zumindest im östlichen Teil) waren die Temperaturen nie so extrem wie in anderen Teilen Österreichs und Europas. Dort gab es seltene Schauspiele: Einfrieren des Wörthersees, des Traunsees, des Bodensees, ja sogar Einfrieren der Ost-See. Die Tiere auf den Feldern hatten sehr zu leiden und wurden z. T. mit Hubschraubern versorgt.” Ab 3. März trat kräftiges Tauwetter auf und verwandelten die Ortsstraße in Wasserstraßen, bei der tiefergelegten Einfahrt des Pfarrhofes kam viel Wasser von der Straße herein, sodass man Stege zum Gehen errichten musste.
Mitte Juni wurden die letzten Arbeiten am neuen Pfarrhof durchgeführt. Am 22. Juni 1963 wurden das Pfarrhaus und der Pfarrsaal von Sr. Exz. Dr. Franz Jachym Erzbischof Koadjutor feierlich geweiht und seiner Bestimmung übergeben. Der Andrang seitens der Bevölkerung war so groß, dass im neuen Pfarrhof Saal viel zu wenig Platz war. Die Feierlichkeiten endeten schließlich im - wie Nittmann in der Chronik anmerkte: ”gut geführten” - Gasthaus Raditsch, in der Hauptstraße 2,
Da Kaplan Rudolf Hermanek mit 29. Juni in den Urlaub fahren wollte, musste der Umzug von der Hauptstraße in den Kirchenplatz noch in der letzten Juni-Woche erfolgen. Mit dem Handwagen und dem Lieferwagen des Tischlers Josef Fassel transportierte man Einrichtung und Hausrat, das Nittmann so beschreibt: “ Das Ausräumen der vielen Nebenräume des alten Pfarrhofs war besonders mühselig und langwierig, weil die Relikte von vielen Vorgängern auch wegzuräumen waren.”
Was der Neubau gekostet hat und wie das ganze finanziert worden ist? Kann ich dir sagen weil Rainer Pauer nicht nur ein begnadeter Organist, sondern auch derjenige war, der das Pfarrarchiv in den vergangenen eineinhalb Jahren, durchforstet, transkribiert, fein säuberlich geordnet und die Daten - nicht nur für diesen Post - aufbereitet hat und mir zur Verfügung stellte. Also: Insgesamt wechselten 1.423.925 Schilling und 68 Groschen von der Pfarre zu den Handwerksbetrieben. Das Geld lukrierte die Pfarre aus Grundverkäufen in der Rehfing und aus dem Erlös des alten Pfarrhofes.
Zufrieden mit dem vollbrachten Werk notierte Pfarrer Nittmann: “Im neuen Pfarrhof mit seinen schönen Räumen und den vielen Bequemlichkeiten fühlte sich jeder bald „daheim“.”