Aus der Geschichte von Pottendorf=Landegg
Heimkehr
von Fritz Sitte
(Pfarrblatt 1938, gekürzte Fassung)
Mir ging es schon Jahre hindurch so. Im wachen Träumen wanderte ich in die Heimat zurück und je länger ich in der Fremde war, umso verklärter tauchte sie vor mir auf.
Wie sah ich Pottendorf in meiner Jugendzeit? Ein weltvergessener Marktflecken an einer Seitenlinie der Südbahn und ich ärgerte mich immer über die winzige Lokomotive mit dem riesigen Schlot, die nie mehr als vier Wagen zog. Breit angelegte Straßen mit Baumreihen, durch die dreimal am Tage ein einspänniger Postwagen klingelte. Diese Eintönigkeit wurde nur selten unterbrochen, wenn Fürst Esterhazy in einer Equipage, die von vier Prachtschimmeln gezogen wurde, von seinem Schlosse zum Bahnhofe oder zur Jagd fuhr. Sonst geschah nichts.
Es zog mich hinaus. Die Träume der Sehnsucht erfüllten sich. Ich ließ die andern zurück und ging meinen eigenen Weg. Er war sonnig, steinig und weit. Nun sind Jahrzehnte dahingegangen und da rührte sich auf einmal das gegenteilige Wollen des Herzens, das zu seines Lebens Ursprung zurückverlangte. Dieser früher so wenig geliebte Erdenfleck verzauberte sich in ein Bild, gemalt in überirdischen Farbtönen.
Aus den dunklen und hellen Wolkengebilden fallen Strahlenbündel der Sonne auf die Dörfer und -
auf den roten Zwiebelturm der Pottendorfer Kirche. Mein Herz klopfte!
Als ich mich am Bergeshang niedergelassen hatte, musste ich meine Augen schließen, um dann immer wieder Neues, trunken von der Seligkeit des Schauens, aufzunehmen. Wie grüne Moospolster schmiegen sich die Anlagen des Schlossparkes heran an die Kirche und die Augen begleiten den Lauf der Fischa und der Leitha. Unendlich weit konnte der Blick schweifen bis an den Schneeberg und die
grünen Ausläufer der Alpen.
Das Dorf war wie ausgestorben. Eine feierliche Stille lag in den breiten Straßen. Gras und Blumen sind gestreut. Birkenreiser säumen den Weg, in manchen Fenstern brennen Kerzen. In der Kirche ist es ganz ruhig. Drei Weiblein beten ihren Rosenkranz und ich kann mir die altvertrauten Heiligenstatuen, die großen Altarbilder, das kunstvoll geschmiedete Gitter und die mildreich lächelnde Mutter Gottes am Gnadenaltar in Ergriffenheit ansehen. Später ließ ich die Prozession mit dem schön gestickten „Himmel“, unter dem das Allerheiligste getragen wurde, an mir vorbeiziehen. Ich erkannte die alten Fahnen und Lampen wieder. Es fehlten zwar die Veteranen und die Feuerwehr mit ihren Kapellen und der sonstige äußere Pomp, wie ich ihn erwartet hatte, aber auf allen Gesichtern lag dieselbe Andacht wie ehedem.
Autor
Der Chemiker Dr. Friedrich Sitte war Bruder des bereits mit 41 Jahren verstorbenen Historikers
Alfred Sitte, dessen historische Studien zu Schloss Pottendorf eine bedeutende Quelle darstellen.
Leider verlor Friedrich Sitte den Nachlass seines Bruders während der Kriegsereignisse im Frühjahr 1945 in Ratibor, Oberschlesien.
(Informationen aus dem Nachlass von Dr. Rudolf Hertzka)
Fotos: Fotobestand Schloss Betliar, Nachlass Pfarrer Josef Nittmann, Pfarrarchiv, Archiv Gernot Blümel